Nördlingen, Evangelisch-lutherisches Pfarramt St. Georg, Musikarchiv (D-NLk)
Die Notenbibliothek der St. Georgskirche in Nördlingen beherbergt eine beachtliche Sammlung historischer Musikhandschriften, in der das Wirken und kompositorische Schaffen ihrer Kirchenmusiker über mehrere Jahrhunderte hinweg dokumentiert ist. Die ältesten erhaltenen Notenmanuskripte stammen aus der Zeit des Kantors Johann Caspar Simon (1701-1776) und seines Nachfolgers Jacob Heinrich Hilbrandt (1711-1776). Dessen Nachfolger ab Mai 1781, Christoph Friedrich Wilhelm Nopitsch (1758-1824), hat weniger selbst komponiert als vielmehr Kantaten seiner beiden Vorgänger wiederaufgeführt, wie etliche von seiner Hand notierte Einzelstimmen und auch vier Partiturabschriften belegen.
Weitere Musikhandschriften in der historischen Musiksammlung von St. Georg enthalten Werke von Friedrich Buck (1800-1881), der zwischen 1824 und 1830 in Nördlingen wirkte, Friedrich Glauning (1810-1882), zunächst Lehrer, dann von 1838 bis 1881 Stadtkantor und Organist, sowie von dessen Nachfolger Friedrich Wilhelm Lorenz Trautner (1855-1932). Glauning war offenbar befreundet mit dem Kapellmeister der evangelischen Kirchen in Augsburg, Karl Ludwig Drobisch (1803-1854), von dem deshalb ebenfalls eine stattliche Anzahlt handschriftlicher Werke, darunter auch Autographe, in Nördlingen überliefert sind. Einige der Werke Drobischs tragen auf dem Titelblatt einen autographen Vermerk, dass diese ausdrücklich nur zum Gebrauch in den „protestantischen Kirchen zu Nördlingen“ bzw. durch den „Stadtcantor Glauning zu Nördlingen“ bestimmt sind.
Johann Caspar Simon kam 1731 nach Nördlingen, zunächst als Musikdirektor und Organist; ab 1743 war er zudem Lehrer an der städtischen Lateinschule. Im Jahr 1750 erbte er die Tuchhandlung seines Schwagers Carl Maximilian Leibbrandt in Leipzig, was ihn bewog, seine musikalische Tätigkeit in der Freien Reichsstadt gegen die lukrativere Position eines Kaufmanns in der Messestadt einzutauschen. Simon hatte in Nördlingen drei vollständige Jahrgänge Kirchenkantaten komponiert. Deren erste beiden aus den Jahren 1732 und 1734 haben sich nicht erhalten; ihr Inhalt lässt sich jedoch durch überlieferte Textdrucke und ein zeitgenössisches Verzeichnis wenigstens teilweise rekonstruieren. Der nahezu vollständig erhaltene 3. Jahrgang fällt in das Kirchenjahr 1737/38. Er zeigt, dass in Nördlingen seinerzeit jeden Sonntag und zu vielen kirchlichen Festen Kantaten musiziert wurden, an den hohen Festen sogar je eine Kantate am Vor- und am Nachmittag. Der 4. Nördlinger Kantatenjahrgang fällt in das Jahr von Simons Weggang. Die ersten Kantaten im Weihnachtsfestkreis kommen noch aus seiner Feder; anscheinend hat sein Nachfolger Hilbrandt dann die Kantatenproduktion übernommen.
Jacob Heinrich Hilbrandt war von „1744 bis 1776 Stipendiatenpfleger, Quästor und von 1750 an Organist“ in Nördlingen. Er arbeitete in dieser Zeit offenbar eng mit Simon zusammen, denn etliche von dessen Kantaten liegen als Abschriften Hilbrandts vor, sowohl der Partituren als auch der Stimmensätze. Interessant und bisher nicht bekannt ist die Tatsache, dass Hilbrandt offenbar in größerem Stil Kantaten und einzelne Arien aus unterschiedlichen Kantatenjahrgängen von Georg Philipp Telemann bearbeitet hat.
Die Handschriften wurden 2013 von Helmut Lauterwasser katalogisiert.
• Zuständig: RISM-Arbeitsstelle München
Literatur:
Lauterwasser, Helmut: Telemann-Rezeption in Nördlingen Anno 1750 – Eine Spurensuche, in: Die Musikforschung, 2013 (66. Jg.), Heft 4, S.362-390
(Helmut Lauterwasser, 24.10.2013)